Die wohl berühmteste Schrift zur Philosophie des Alters verfasst Cicero 45/44 v.Chr. in einer für ihn erzwungenen politischen Kampfpause. Nach dem Sieg gegen Pompeius in der Schlacht von Pharsalos im August 48 wird Cäsar Alleinherrscher in Rom, und Cicero, im Senat einer der energischsten Vertreter der alten Republik, verlegt sich weitgehend aufs Schriftstellertum und die Philosophie. Als kleinere, wie zwischendurch eingeschobene Arbeit entsteht gegen Ende dieser Phase auch das Buch Cato Maior de Senectute, „Cato der Ältere über das Greisenalter“.
Die Schrift ist dem Freund Atticus gewidmet und in der Vorrede nennt Cicero als Zweck, sich und den Freund von „der Last des herandrängenden Alters zu erleichtern“. So lässt sie sich als eine philosophische Bewältigung der Altersangst lesen. Klagen über das Alter werden in stoischer Weisheit widerlegt, als dumm und unbegründet erwiesen. Nicht jammern und klagen, sondern das Alter als Teil des Lebens annehmen und nach Vermögen das Beste daraus machen.
Dem Vermögen kommt darin schon eine wesentliche Rolle zu. Das Bild des angenehmen Alters beruht hier auf maßvoller körperlicher Tätigkeit auf dem eignen Landsitz, auf Bildung und geistigen Studien und auf einer sozialen Achtung, die vor allem in politischen Ämtern erworben wurden.
Zwei Jahre später steht Ciceros Name ganz oben auf den Todeslisten des neuen Triumvirats. Im Dezember 43 v. Chr. wird er auf der Flucht in Süditalien von einem Zenturio erschlagen und geköpft; der Leichnam später durch Rom geschleift und der Kopf des berühmtesten römischen Redners an der Rednertribüne des Forums befestigt.
Warum? Cicero hat sich nach Cäsars Ermordung mit Leidenschaft zurückgeworfen in die politischen Auseinandersetzungen. Obwohl (oder auch weil) er persönlich nicht beteiligt war an der Verschwörung ist er zum Wortführer im Senat und Verteidiger der Republik und zum entschiedensten Feind von Marcus Antonius geworden – auf dessen Betreiben dann Ciceros Name auf die Proskriptionslisten kam. Man muss hinzufügen, dass Cicero umgekehrt vielleicht ähnlich gehandelt hätte. Den Mördern Cäsars jedenfalls warf er vor, kindisch gehandelt zu haben, dass sie Marcus Antonius verschonten, statt ihn gleich mit Cäsar zu beseitigen.
Von diesem Zusammenhang ist in der Literatur über die Schrift so gut wie nichts zu erkennen. Es wird schlicht nicht erwähnt. Die Gebildeten wissen es vielleicht. Die anderen brauchen nichts davon zu wissen: der klassische Humanist, Redner und Philosoph ist vom Politiker Cicero getrennt wie ein Kopf vom Körper.
Eine fortdauernde Trennung
Die ersten Jahrzehnte nach seiner Ermordung ist Ciceros Name unnennbar. Die spätere Wiedergeburt bei Seneca und anderen hält sich an den Philosophen und den herausragenden Redner im formalen Sinn, an Cicero als Sprachkünstler und Rhetoriker unabhängig von Sachpositionen. Ähnlich wird der heidnische Denker auch von den christlichen Kirchenväter geschätzt; was dazu beigetragen hat, dass Ciceros Werke und Briefe in ausnahmsweiser Fülle dem Bücherverlust in der Spätantike entgangen sind.
Unter den Gebildeten der Neuzeit ist De Senectute wieder sehr geschätzt. Sie wird etwa in den Kanon der Harvard Classics aufgenommen, und Jacob Grimm leitet seine „Rede über das Alter“ 1863 mit der Frage ein „Wer hat nicht Ciceros De Senectute gelesen?“. Natürlich eine rhetorische Frage. Natürlich unmöglich, im Saal jetzt den Finger zu heben. Das Ende der römischen Republik und die Zeit der Bürgerkriege aber sind kein Thema. Wenn die Gegnerschaft zu Caesar erinnert wird, dann mit einer deutlichen Herabsetzung Ciceros; mit Angriffen auch auf die persönliche moralische Integrität, wie beim Historiker Theodor Mommsen.
Der Körper ist geschleift. Wir haben nur den Kopf. Und lesen die Schrift als Erbauungsliteratur für jedermann.
Aber nein, man kann sie schon auch anders lesen. Manche Beschönigung darin ist schwer erträglich, aber ihre größten Schwächen gehören noch zu einer Verteidigung der römischen Republik.
Cicero hat nicht ein Wort darin für das Altern des einfachen Volks. Von Sklaven ganz zu schweigen. Und von Frauen wird geschwiegen. Es ist alles darin nur für Seinesgleichen, für die Herrschenden Roms. Es ist, wie Simone de Beauvoir zuspitzt, eine Verteidigung der alten Verhältnissen und der Macht der Alten gegen ihre Bedrohung durch die jungen Feldherren. „Als Senator verfasst er [Cicero], 63 Jahre alt, eine Verteidigung des Alters, um zu beweisen, dass die seit langem erschütterte Autorität des Senats wieder gestärkt werden müsse.“
Das ist bei Cicero so nicht formuliert und zu Caesars Lebzeiten auch kaum formulierbar. Aber Cicero geht schon nahe heran. Vom ersten Wort an spricht die Schrift zu den von Caesar aufs Altenteil geschobenen alten Herren Roms, die für Cicero das Potenzial des Widerstands gegen die Wiedergeburt des Königtums in Rom bilden. Die Schrift ist sichtbar als Beitrag zu einer konservativen Erneuerung der römischen Elite angelegt: Eine Tugendmahnung im Geiste des alten Roms. Das Lob des Alters ist ein widerborstiges Lob des Alten.
Da spricht einer, der sich mit der Entmachtung des Senats nicht abfinden will. Cicero beweist das in der Tat. Darum wird sein Kopf an der Rednertribüne hängen.
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Ciceros Schrift über das Alter 1: Der geköpfte Alte 2: Cato, das Altenideal 3: Klassische Altersklagen, klassisch abgetan 4: Weisheiten fürs Altenheim?